„Papa, welcher Planet ist unserer Erde eigentlich am nächsten?“

Welcher Planet steht der Erde am nächsten?, Quelle: Markus Heber(Gastbeitrag von Markus Heber) Papa:„Ähm, die Venus … und manchmal der Mars“. Diese Antwort hätten in ähnlicher Weise wohl die meisten von uns gegeben. Sie ist auch nicht ganz falsch, aber nur die halbe Wahrheit. Die Venus ist derjenige Planet, der der Erde am nächsten kommen kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie unserer Erde auch immer am nächsten ist.

Aber mal von vorne: Welcher Planet, oder allgemeiner: welcher Himmelskörper, ist eigentlich unserer Erde am nächsten? Da ist natürlich zunächst einmal unser Mond, der in ziemlich geringer Entfernung (etwa 380000 km) um unsere Erde schwirrt und somit fast immer der uns nächstgelegene Himmelskörper ist. Wenn sich nicht mal – wie im Februar – ein Asteroid auf seiner wilden Bahn noch näher an die Erde heranwagt. Im Februar hat der Asteroid 2012 DA14 in nur etwa 27000 km Entfernung die Erde passiert. Das war gerade mal etwas mehr als der doppelte Erddurchmesser, oder weniger als 1/10 der Entfernung zum Mond. Abgesehen von solchen Zwischenfällen ist natürlich der Mond mit Abstand der erdnächste Himmelskörper.

Aber danach? Welcher Himmelskörper ist uns dann am nächsten? Wir wollen dabei mal von den wild umherschwirrenden Minihimmelskörpern wie Kometen, Klein-Asteroiden und sonstigen Brocken absehen, die sicher immer mal wieder der Erde etwas näher kommen.

Die Erde hat eine Entfernung von etwa 150 Millionen km zur Sonne, von den Astronomen vereinfachend 1 Astronomische Einheit (AE) genannt. Dieser Abstand variiert nur minimal, so dass ein Himmelskörper, der der Erde näher als die Sonne kommen möchte, eine Entfernung von höchstens 1 AE haben darf.

Damit scheiden schon einige Kandidaten aus: Jupiter z.B. hat im günstigsten Fall eine Erdentfernung von etwa 4 AE und ist somit, wenn wir ihn mit der Erde auf der Innenbahn überholen, immer noch etwa 4 Mal so weit von uns weg wie die Sonne. Für alle weiter außen liegenden Planeten gilt dies erst recht, und auch die größeren Asteroiden wie Ceres oder Vesta fallen mit etwa 1,5 AE Minimalentfernung von der Erde aus dem Rennen.

Es verbleiben also 4 potenzielle Kandidaten, um zumindest gelegentlich nächster Nachbar der Erde zu sein.

Venus (rechts unten) und Merkur (oben links) am irdischen Abendhimmel, (c) Markus HeberFoto oben: Venus (rechts unten) und Merkur (oben links) am irdischen Abendhimmel, 5.Juni 22:55 Uhr MESZ, (c) Markus Heber

Da ist zunächst einmal die Venus als nächster Bahnnachbar der Erde. Die Venus kann der Erde näher kommen als jeder andere Planet, nämlich etwa 0,3 AE, also weniger als 1/3 der Entfernung zur Sonne. Nun ist die Venus der Erde nur dann so nahe, wenn sie die Erde gerade innen überholt. Steht sie der Erde genau gegenüber, muss man die Distanz Erde-Sonne hinzurechnen, die Venus ist dann mit 1,7 AE schon ziemlich weit weg. Auf dem Bild unten erkennt man, dass die Venus nur in einem Bereich, der kleiner als die Hälfte ihrer Bahn ist, wirklich näher bei uns ist als die Sonne.

Als zweiter naheliegender Kandidat kommt unser äußerer Nachbar, der Mars, in Frage. Seine Bahn ist sehr elliptisch, d.h. die Entfernung beim Überholvorgang der Erde innen ist ziemlich unterschiedlich. Im günstigsten Fall beträgt dann die Entfernung zur Erde nur 0,38 AE. Falls dann also gerade die Venus etwas weiter weg ist, hat der Mars eine gute Chance, für einige Zeit erdnächster Planet zu sein. Das Bild unten zeigt allerdings den Standortnachteil des Planeten für diesen Wettbewerb: Aufgrund der Weite der Umlaufbahn ist der Mars nur auf einem kleinen Stück seiner Bahn (etwas mehr als ¼) der Erde näher als die Sonne. Nur in dieser Zeit hat er eine Chance.

Der nächste Kandidat, der Merkur, ist nicht einmal Bahnnachbar der Erde. Daher denkt man wohl eher selten an Merkur als erdnächsten Himmelskörper. Zunächst einmal die Frage, welche Konstellation vorliegen muss, damit dieser Fall eintritt. Die Venusbahn läuft zwischen Erdbahn und Merkurbahn. Somit darf die Venus nicht in der Nähe sein, sonst gewinnt sie das Rennen. Da auch der Merkur eine sehr elliptische Bahn hat, variiert auch hier die Minimalentfernung zu Erde stark. Sie liegt bei etwa 0,5 – 0,7 AE, je nachdem, wo das Überholmanöver stattfindet (was dafür aber ziemlich oft passiert, nämlich etwa alle 115 Tage). Damit wird der Merkur schon zum Mars-Konkurrenten. Wenn der Mars jedoch auch nicht gerade in Oppositionsnähe ist, ist der Merkur ein heißer Kandidat, für eine gewisse Zeit erdnächster Planet zu sein. Und er ist schnell genug, diese Chance immer wieder zu nutzen.

Schließlich wäre da noch unser Stern, die Sonne, als erdnächster Himmelkörper jenseits des Mondes. Das klingt wenig vertraut, aber eine einfache Überlegung zeigt, dass das sehr wohl möglich ist. Es müssen sich nur die 3 bisherigen Kandidaten von der Erde aus gesehen jenseits der Sonne befinden, dann ist uns die Sonne von allen am Nächsten! Wie das Bild unten zeigt, ist nicht einmal zwingend erforderlich, dass sich alle anderen in der Himmelshälfte jenseits der Sonne befinden. Der Mars z.B. ist auch „vor“ der Sonne in großen Teilen seiner Bahn schon weiter von der Erde entfernt als die Sonne. Die Erde ist in dieser Zeit ein sehr einsamer Planet. Im Umkreis von 1 AE gibt es nur Leere.

Die Bahnen der inneren Planeten, Quelle: Markus HeberAbbildung oben: Bahnen der inneren Planeten und Bereiche, in denen sie der Erde (schwarzer Punkt) näher sind als die Sonne (d.h. näher als 1 AE)

Nun stellt sich noch die Frage, wie oft eigentlich welcher der 4 Kandidaten erdnächster Himmelskörper jenseits des Mondes ist. Dies könnte man sicher aufwändig ausrechnen, ich verwende hier einmal eine Heuristik über die letzten Jahre. Dazu habe ich tägliche Ephemeriden verwendet (Quelle: IMCCE) , jeweils den Tagesgewinner ermittelt und dies summiert. Man muss etwas aufpassen, damit die Ergebnisse einigermaßen repräsentativ sind. Die Konstellation Erde-Mars ist mit einer synodischen Periode von 780 Tagen die längste. Um einen „fairen“ Vergleich zu haben, sollte ein Vielfaches dieses Zeitraums verglichen werden. Nach genau diesem Zeitraum haben natürlich Venus und Merkur keine vollständigen Umläufe abgeschlossen, was die Ergebnisse leicht verzerrt. Ich habe mich für 6 synodische Marsjahre entschieden: 6*780 = 4680, fast 13 Jahre. Der Vergleichszeitraum läuft vom 1.1.2000 bis zum 21.10.2012. Folgendes, vielleicht etwas überraschendes Ergebnis, kommt dabei heraus:

Himmelskörper War an … Tagen erdnächster Himmelskörper Das entspricht einem prozentualen Anteil von
Sonne 1289 25,7 %
Merkur 1200 24 %
Venus 1497 30 %
Mars 693 13,8 %

30% der Zeit ist also Venus unser nächster Nachbar, jeweils ¼ der Zeit die Sonne oder Merkur, und nur eher selten der Mars. Was ich vorher nicht erwartet hätte: Die Häufigkeit, wo uns der Merkur oder sogar die Sonne am nächsten sind.

Die Zeiträume, in denen uns einer der Vier am Nächsten ist, sind sehr unterschiedlich. Manchmal wechseln sich die Wettbewerber in kurzen Abständen ab. Zum Jahreswechsel 2009/2010 war Merkur für gerade einmal 12 Tage erdnächster Planet. Davor und danach war es der Mars, was darauf schließen lässt, dass der Mars sich gerade in einem entfernten Teil seiner Bahn befand und somit Merkur beim inneren Überholvorgang mal kurz die Nase vorne hatte. Bei der Venus dauern diese Perioden erheblich länger, da sie in Erdnähe das Rennen immer für sich gewinnt und die Überholvorgänge der Venus und der Erde sich aufgrund der ähnlichen Geschwindigkeit lange hinziehen. So ähnlich wie die LKW-Überholmanöver auf der Autobahn. Eine solche Phase dauerte vom 9.Juli 2010 bis zum 18. Februar 2011, also 255 Tage.

Die Frage nach dem „erdnächsten Planeten“ ist also spannender als vielleicht gedacht und bringt ein anderes Ergebnis zum Vorschein, als man es sich auf den ersten Blick gedacht hätte. – Markus Heberhttp://astroheber.as.funpic.de/

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